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 Star of Fate

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BeitragThema: Star of Fate   Star of Fate I_icon_minitimeSa Dez 27, 2008 1:25 am

Titel Star of Fate

Autor: Eternety

Rating: p16

Eine kleine Weihnachtsgeschichte. viel Spaß damit.

Star of Fate

Es war einmal vor langer Zeit in einem Königreich, ganz weit entfernt…
So fangen viele Märchen an.
Zu viele, wenn man mich fragt, aber mich fragt niemand und vielleicht ist das auch manchmal besser.
Ich glaube nicht mehr an Märchen und das schon nicht mehr, seit ich Zwölf war.
Das war in etwa die Zeit, in der ich von zu Hause weggelaufen bin, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe.
Bis dahin hatte ich das, was man eine glückliche Kindheit nennt.
Einen liebevollen Vater, eine sorgende Mutter und eine große Familie.
Ich war verwöhnt, anders kann man es nicht nennen. Alles, was ich wollte, bekam ich auch. Ich hatte viele Freunde, ein eigenes Pferd, einen Hund, eben alles, was sich ein Mädchen in diesem Alter wünscht.
Meine Noten in der Schule waren gut und man prophezeite mir schon, dass ich Abitur machen und studieren würde.
Ich lächelte dazu nur und gab mein bestes, damit sich das alles auch erfüllte.
Äußerlich eine Vorzeigetochter, innerlich die verzogene Göre, die auch weiter nach dem Verlangte, was sie wollte und es auch bekam.
All das änderte sich schlagartig in einer Nacht.

Es war die Nacht des 23. Dezembers. Ein Tag vor heilig Abend.
Ich saß mit meiner Mutter am Abendessenstisch und stocherte in meinem Gemüse herum. Ich erinnere mich noch so genau daran, weil ich mich mit meiner Mutter darüber gestritten hatte, es zu essen.
Sie meinte, sonst würde das Christkind am nächsten Tag nicht kommen.
Ich rollte damals nur mit den Augen.
Ich war zu alt für dieses Märchen vom Christkind, dass die Geschenke bringt. Die lagen schon seit Wochen im Schrank meiner Eltern und warteten nur darauf, ausgepackt zu werden.
Nach langer Diskussion also, musste ich meinen Brokoli doch herunterwürgen, doch das wollte ich eigentlich nicht. Deshalb stocherte ich darin herum und erntete einen bösen Blick meiner Mutter nach dem Anderen, als es an der Tür klingelte.
Wir erwarteten Papa schon lange, doch das er es war, konnte schlecht sein.
Er hatte einen Schlüssel.
Ich witterte meine Chance.
Mama ging, um die Tür zu öffnen und ich stahl mich in die Küche, um das ungeliebte Grünzeug los zu werden.
Dazu musste ich durch den Flur.
Sofort sah ich den Polizisten, der auf der Türschwelle stand und mit meiner Mutter sprach.
Plötzlich sackte sie in sich zusammen und wurde von dem Mann gestützt, der vor ihr stand.
Ich ließ den Teller fallen, der klirrend zu Boden krachte und rannte auf meiner Mutter zu.
Der Polizist hatte sie auf den Boden gelegt und sprach nun in sein Funkgerät, um einen Krankenwagen zu holen.
Ich verstand nicht, was um mich geschah, als eine Polizistin auf mich zukam und mir eine Hand auf die Schulter legte.
„Es tut mir so leid für dich.“, sagte sie, doch ich verstand immer noch nicht.
Ich sah immer wieder von Mama zu ihr und zurück.
„Mama…“, hauchte ich leise und wollte zu ihr gehen, doch die Polizistin hielt mich auf.
„Es geht ihr gut. Komm mit. Ich bring dich zu Verwandten.”
„Wo ist Papa?“, fragte ich, doch ich bekam keine Antwort. „Ich will bei Mama bleiben!“, schrie ich deshalb laut und wehrte mich heftig gegen die Hand der Frau, die mich mit sich zog, doch die Polizisten war unerbittlich.
Sie setzte mich in ein Auto und fuhr los, während ich noch den Krankenwagen auf den Hof fahren sehen konnte.
Tränen rannen mir die Wangen hinab.
„Wein nicht, Kleine.“, sagte sie sanft, als sie den Weg zum Haus meiner Tante hinabfuhr.
„Was ist passiert? Wo ist Papa? Was ist mit Mama???”, fragte ich die Polizistin wieder.
„Sie wird ins Krankenhaus gebracht, deshalb bring ich dich jetzt zu deiner Tante. Ihr geht es nicht gut.“
„Ich bin kein kleines Kind mehr! Was ist mit Papa!“, schrie ich die Frau an und diese hielt am Straßenrand und drehte sich zu mir um.
„Dein Vater hatte einen Autounfall.“, sagte die Frau und sah mich traurig an.
„Aber… er wird doch wieder gesund?“, fragte ich, doch der Blick der Frau war mir Antwort genug…

Nach fast zwei Monaten in Behandlung kam meine Mutter wieder nach Hause.
Weihnachten hatte ich bei meiner Tante verbracht, die sich rührend um mich gekümmert hat… wenn ich mich richtig erinnere.
Als die Polizistin mir sagte, dass mein Vater tot war, war meine Welt zusammengebrochen und die Erinnerungen an die nächsten Tage sind mehr als verschwommen.
Alles schien falsch, selbst für ein Kind.
Die hellen Lichter sollten dort nicht sein, genauso wenig wie der Duft der Plätzchen und der schöne Tannenbaum.
Ich erinnere mich genau.
Es war der 25. Dezember, als ich mich in mir selber einschloss und niemanden mehr an mich heran ließ.
Als ich nun endlich wieder zu meiner Mutter konnte, erkannte ich sie kaum wieder. Natürlich haben wir sie besucht. Das macht man ja schließlich so, doch sie war nicht mehr sie selbst.
Seit dem Tot meines Vaters, war nicht nur meine Welt allem entrückt, sondern vor allem ihre.
Nach dem Krankenhaus ging es ihr einige Zeit lang gut, doch ich sah ihr an, dass sie wenig schlief.
Sonst war sie immer sehr liebevoll gewesen, hatte mich umarmt und geküsst, wenn ich in die Schule gegangen bin, doch davon war nichts mehr zu spüren.
Sie berührte mich nicht mehr.
Dabei wünschte ich mir doch nicht mehr, als eine einfache Umarmung oder einen gute Nacht Kuss…

As I seal your lips
With a good-night kiss, my love
I feel that I’d miss
That longing deep inside my heart

Das ganze war erst der Anfang.
Irgendwann hörte sie einfach auf, Morgens mit mir aufzustehen.
Manchmal lag sie noch im Bett, wenn ich wieder aus der Schule kam.
Erst redete ich mir ein, dass sie gearbeitet hatte. Vielleicht hatte sie wieder einen Kuchen gebacken und ihn zur Armenküche gebracht, wie so oft oder sie hatte den Garten aufgeräumt und war deshalb so müde, dass sie sich hingelegt hatte.
Doch ein Blick in den Garten oder die Küche zeigten mir, dass es nicht so war.
Sie war einfach nicht aufgestanden.
Sie hatte nicht gearbeitet, nicht gekocht, nicht einmal die Tageszeitung hereingeholt, um in ihr zu lesen.
Dann, irgendwann, fing sie an zu trinken.
Erst nur wenig, doch dann wurde es immer mehr.
Sie versuchte es zu verstecken, doch ich sah die Flaschen, die überall standen, wo sie war.
Ich bemerkte, dass sie mit jeder Stunde, die der Tag voranschritt, schlechter gerade stehen konnte.
Die Wohnung verkam und langsam verloren wir eines nach dem anderen.
Mein Pferd verkauften wir zuerst, dann das Auto.
Sie kümmerte sich nicht mehr um mich und irgendwann war sie wieder einmal so betrunken, dass sie gar nichts mehr mitbekam.
Ich wollte ihr die Flasche wegnehmen, da holte sie aus und schlug mich.
Sie schlug mich immer und immer wieder, bis ich weinend und blutend auf dem Boden lag.
Dann ging sie in ihr Schlafzimmer, legte sich in ihr Bett und schlief ihren Rausch aus.
Bald schon konnte ich höre, wie sie schnarchte und setzte mich leise auf.
Jede Bewegung tat weh und noch heute kann ich die Schmerzen fühlen, wenn ich daran denke.
Ich rappelte mich also auf, packte einige Sachen zusammen, nahm meinen Hund und ging mit ihm einfach weg, bevor sie wieder aufwachte.
Für die ersten Tage nahm ich mir Geld aus ihrem Portemone, damit ich wenigstens Lebensmittel kaufen konnte.

But I have to go
Before the morning grows too old now
The second star from right
Is the one I use as my guiding light

Das ganze war im Sommer, also konnte ich bequem draußen schlafen.
Aber der Sommer ging schnell vorbei und es wurde Herbst und schließlich wieder Winter.
Jede Nacht fror ich, wenn ich durch die leeren Straßen lief, um mich warm zu halten.
Mein Hund war immer neben mir, doch irgendwann tat mir das Tier einfach nur noch leid.
Ich liebte ihn abgöttisch und deshalb tat ich ihm den größten Liebesdienst, den ich ihm erweisen konnte und brachte ihn ins Tierheim.
Ganz alleine lief ich die nächsten Nächte durch die Straßen und sah immer wieder nach oben.
Dort funkelten die Sterne mir zu.
Als der 23. Dezember endlich gekommen war, sah ich einen, der besonders hell schien.
Der zweite Stern von rechts neben dem großen Waagen und ich wusste, dass das mein Vater ist, der mir meinen Weg weisen will, doch wohin mich dieser Weg führen würde, dass konnte ich damals einfach nicht verstehen.
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BeitragThema: Re: Star of Fate   Star of Fate I_icon_minitimeFr Feb 06, 2009 2:31 am

Seit dem ganzen sind nun einige Jahre vergangen.
Ich habe als Straßenkind auf den Straßen vieler Städte gelebt und viele Weihnachten durch Fenster beobachtet, wie das arme Kind mit den Zündhölzchen.
Ich sah glückliche Familien ihren Einkaufsbummel machen und dachte an meine Familie zurück.
Es wäre so einfach gewesen, zurück zu meiner Tante zu gehen, doch ich wollte das nicht.
Ich wollte von meiner Mutter weg und das konnte ich nur, wenn ich von allen wegblieb.
Zur Schule ging ich auch nicht mehr.
Stattdessen lief ich rastlos durch die Straßen, immer auf der Suche nach einem netten Menschen, der mir etwas zu essen ausgibt.
Ich weiß nicht, was härter war, der heiße Sommer oder der kalte Winter, doch ich schlug mich durch, so gut es ging.

Irgendwann nach einigen Jahren, sammelte mich eine nette Frau in den Straßen irgendeiner großen Stadt auf.
Das genaue Datum kannte ich nicht, doch nach der Dekoration der Schaufenster musste es Dezember sein und Weihnachten vor der Tür stehen.
Sie bot mir an, mit ihr zusammen zu einer Unterkunft für Obdachlose zu gehen und dort zu schlafen.
So ungern ich Hilfe annahm, in dem Fall war es dringend nötig.
Die Nacht war bitterkalt und ich hatte mich erkältet.
Seit Tagen schon hustete ich und bekam schlecht Luft.
Schlaf könnte mein Todesurteil sein und so ging ich mit der Frau, die sich mir als Thea vorstellte.
Sie brachte mich in ein Gebäude, in dem ich zuvor noch nie gewesen war.
Es lag etwas abseits der Stadt und bestand aus wenigen, sehr großen Räumen.
Ein Raum war komplett voller Matratzen, auf denen schon einige Männer und Frauen schliefen.
In einem weiteren Raum gab es die Möglichkeit, sich zu waschen und in einem dritten standen Tische und Bänke, auf die man sich zum Essen setzten konnte und eine Küche.
Die Frau führte mich in die Küche, wo ein Mann dabei war, die Reste vom Abendessen zu verstauen.
„Warte. Wir haben noch Besuch bekommen.“, meinte Thea zu ihm und er drehte sich um, um sie anzulächeln.
„Hi. Schön, dass du den Weg zu uns gefunden hast. Ich bin Juho. Und wie heißt du?“, sagte er und reichte mir die Hand.
„Hallo. Viviane“, sagte ich leise und mit belegter Stimme.
„Ich glaube, du brauchst erstmal etwas zu Essen und einen Tee.“, meinte Juho mit einem weiteren Lächeln zu mir und reichte mir eine Tasse mit dampfendem Früchtetee.
Sofort probierte ich ihn und stellte fest, dass er unglaublich gut schmeckte. Seit Ewigkeiten hatte ich so etwas nicht mehr getrunken.
Als ich den Tee getrunken hatte, schenkte mir Juho gleich nach und lächelte mich wieder an.
Ich muss zugeben, ich war überrascht. Lange hatte mich niemand mehr so behandelt…
Das war ich nicht mehr gewohnt.
Normalerweise rümpften die Menschen die Nase, wenn sie mir begegneten.
Schon oft hatte man mir Schimpfwörter an den Kopf geworfen, mich als Hure oder Junkie bezeichnet.
Ich war keines von Beidem je gewesen.
Immer wusste ich mir anders zu helfen. Ich bettelte oder holte mir Lebensmittel an den Mülltonnen der Supermärkte. Wenn es ganz eng wurde, stahl ich auch, aber etwas Stolz hatte ich mir immer behalten.
„Ich mach was zu essen für dich warm.“, sagte Juho und begann wieder in der Küche zu werkeln.
“Danke…”, murmelte ich leise und trank weiter an meinem Tee.
Thea war für einen Augenblick verschwunden, doch als sie wiederkam, hatte sie den Arm voller Kleidung.
„Ich dachte, du willst dir vielleicht etwas anderes anziehen. Wir haben immer Kleidung da. Ich bin mir nicht sicher mit der Größe, deshalb versuch einfach mal etwas, wenn du gegessen hast.“, sagte sie und legte die Sachen über einen Stuhl.
Ich wusste nicht, wie mir geschah.
Mein Blick wanderte immer wieder von Thea zu Juho und zurück.
Beide gaben sich große Mühe, damit ich mich wohl fühlte.
Nach wenigen Minuten stellte er mir einen Teller mit Gemüse, Fleisch und Kartoffeln hin. Das Essen roch gut.
Ich hatte den ganzen Tag noch nichts bekommen und verschlang gierig jeden Bissen.
„Schling nicht so.“, sagte er lachend. „Wenn du noch möchtest, es ist genug da. Keiner isst dir was weg.“
Wenn ich Anstand gehabt hätte, wäre ich jetzt rot geworden, aber den hatte ich vor Hunger leider vergessen.

Als ich fertig war, wurde ich von Thea in den Waschraum gebracht, wo ich erstmal duschen konnte und mir frische Kleidung anzog.
Sogar an ein Haarband für meine langen Haare hatte sie gedacht und so flocht ich sie mir seit Jahren das erste Mal wieder.
So angezogen schaute ich seit Ewigkeiten das erste Mal wieder in den Spiegel und erschrak.
Ich hatte mich unglaublich verändert.
Ich erinnerte mich noch an mein kindhaftes Gesicht, die mittellangen, immer glatten Haare, das strahlen meiner Augen…
Davon sah ich nichts mehr.
Mein Gesicht war hart geworden und die Gesichtszüge… weiblicher, reifer.
Meine Haare reichten mir inzwischen bis zur Hüfte und waren jetzt zu einem langen Schwanz gebunden.
Meine Augen schienen leer. Das Blau war dasselbe, doch lange nicht mehr so strahlend und sanft.
Mit meiner Hand berührte ich vorsichtig meine Wange und das Bild im Spiegel tat es ihr gleich.
Das war ich…
Natürlcih hatte ich mich in Scheiben und Pfützen gesehen, doch nie so direkt in einem Spiegel.
Auch meine Figur hatte sich verändert.
Ich war kein Kind mehr, das konnte man deutlich sehen und eigentlich war das auch kein Wunder.
Vor mir stand nicht mehr das zwölfjährige Mädchen, sondern eine zwanzigjährige Frau.

Irgendwann lief ich zurück in die Küche, wo ich schon von den beiden netten Menschen erwartet wurde.
Langsam betrat ich den Raum und erntete erstaunte Blicke.
„So sieht das schon viel besser aus.“, sagte Thea mit einem Lächeln und reichte mir eine weitere Tasse Tee.
„Finde ich auch.“, stimmte Juho zu, der mich die ganze Zeit musterte.
Ich hatte mir eine dunkle Jeans und einen dazu passenden schwarzen Pullover ausgesucht, der zufällig in meiner Größe dabei gewesen war.
Unter der schwarzen Kleidung glitzerte die letzter Erinnerung an meine Vergangenheit: ein einfacher, silberner Anhänger an einem Lederband.
„Danke…“, sagte ich wieder leise und setzte mich an den Tisch.
Ich hielt die heiße Teetasse zwischen meinen Händen, als könnte ich ihre Wärme in mir speichern.
Es tat gut, hier in diesem Räumen zu sitzen und nicht darüber nachdenken zu müssen, wie man die kalte Nacht überlebt.
Ich hustete, doch ein Schluck Tee verbarg das Meiste.
Wir begannen ein einfaches Gespräch darüber, wie alt ich war und woher ich kam.
Irgendwann lenkten sie das Thema darauf, warum ich auf der Straße lebte.
Sie waren die Ersten, die mich direkt danach fragten und so begann ich, ihnen meine Geschichte zu erzählen.
Auch die beiden Sozialarbeiter gaben Auskunft über sich.
Sie hatten sich beide für die soziale Arbeit mit Obdachlosen entschieden und halfen vielen Menschen, indem sie Essen und Kleidung verteilten.
Ich wäre eine der Jüngsten in dieser Nacht, berichtete mir dann Juho. „Die Jüngeren tun sich schwerer, hierher zu kommen, weil sie meistens Angst haben, dass wir die Polizei oder das Jugendamt verständigen. Wir dringen einfach nicht zu ihnen durch.“
Thea nickte. „Es ist schlimm, dass überhaupt jemand auf der Straße lebt und wenn es dann Kinder sind, ist es noch schlimmer. Ich frage mich immer wieder, warum? Hattest du denn damals keine andere Möglichkeit, Viviane?“, fragte sie mich und ich zuckte mit den Schultern.
„Schon… aber die gefiel mir nicht. Ich wollte einfach nur weg und bin auf der Straße geblieben…“, erklärte ich und nahm einen Schluck Tee. „Ich fand dort Freunde, habe mich so durchgemogelt…“
„Willst du das immer noch?“, fragte Juho und sah mich an.
„Ich… Ich weiß es nicht… Ehrlich gesagt würde ich gerne wieder normal leben… Aber ich weiß gar nicht mehr, wie das ist. Acht Jahre sind eine lange Zeit…“
„So lange lebst du schon da draußen?“, fragte Juho und ich konnte das Entsetzen in seinen Augen sehen.
„Ja, so lange. Immer in anderen Städten, immer auf der Straße. Ich weiß es so genau, weil ich… Ich zähle die Weihnachten.“, erklärte ich und unterdrückte einen weiteren Hustenanfall.
Ich spürte wieder, wie sich das Bleigewicht auf meine Brust legte, wie das die letzten Tage oft gewesen war und wie ich müder und müder wurde.
„Warum die Weihnachten?“, fragte Thea und sah mich an.
„Weil Weihnachten alles begonnen hat, deshalb und weil man sich Weihnachten gut merken kann. Ostern ist schwerer.“, versuchte ich einen Scherz zu machen, doch der verrauchte völlig.
Weder Thea noch Juho schmunzelten nur darüber. Das Thema war einfach zu ernst und ich sah ihnen an, dass sie schon einiges miterlebt hatten.
„Ich lebe schon so lange auf der Straße, ich kenn gar nichts anderes mehr… aber wenn ich ehrlich bin, würde ich mir gerne mal keine Sorgen darüber machen müssen, wie ich die Nacht überstehe.“, sagte ich.
„Wenn du das willst, können wir dir helfen.“, meinte nun Thea und goss uns allen Tee nach.
Ich wollte gerade nach der Tasse greifen, als mich wieder ein Hustenanfall schüttelte, der gar nicht mehr aufzuhören schien.
„Das gefällt mir aber gar nicht.“, sagte Juho und sah mir in die Augen. „Du hast ganz glänzende Augen. Wahrscheinlich hast du Fieber. Du solltest dich hinlegen.“
Ich schüttelte nur den Kopf, bis mir bewusst wurde, dass hier meine Vorsicht gar nicht angebracht war.
Also nickte ich und nahm noch einen Schluck Tee.
„Morgen kannst du zum Arzt. Hier kommt täglich einer Vorbei, der nach den Menschen schaut.“, meinte Thea und begann unsere Lehren Tassen wegzuräumen.
Ich bekam also eine Matratze direkt an der Heizung, wo ich bis zum nächsten Morgen unruhig schlief.

Als ich aufwachte, ging es mir noch schlechter als am Tag zuvor.
Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu husten und musste mich an die Wand lehnen, damit ich nicht sofort zurück auf die Matratze sank.
Liegen war noch schlimmer, denn dann hustete ich noch mehr.
Der Raum war schon fast leer, als ich endlich aufstand.
So gut ich das konnte, schleppte ich mich in den Essraum, der inzwischen auch schon fast leer war.
Einige frühstückten noch und ich konnte Kaffee riechen.
Als Juho mich sah, winkte er mich zu sich und gab mir einen Teller mit Brot und Aufschnitt.
Ich rang mir ein Lächeln ab, doch sein besorgter Blick zeigte mir, dass er sah, wie schlecht es mir ging.
Thea saß an einem der Tische und unterhielt sich mit einigen Männern.
Ich setzte mich ebenfalls und begann, lustlos an dem Brot zu kauen.
Mein Husten meldete sich immer wieder zurück und so war ich froh, dass ich Tee hatte, den ich trinken konnte.
Auch der Essraum leerte sich langsam und irgendwann war ich alleine mit Thea und Juho.
Ich brachte ihm den halbvollen Teller wieder.
„Keinen Hunger?“, fragte er mich und sah mich skeptisch an.
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich.“, wollte ich sagen, aber heraus kam nur ein Krächzen.
„Du hörst dich ziemlich krank an. Der Arzt kommt nachher.“, meinte Thea, die auch zu uns gekommen war. „Leg dich wieder hin.“
Ich schüttelte den Kopf.
Der Gemeinschaftsschlafraum war mir unangenehm. Dort lagen einfach zu viele Leute und ich hatte es schon immer gehasst, in solchen Gruppen zu schlafen, auch wenn sie einem Schutz boten.
„Dann setz dich wenigstens an den Tisch!“, sagte Juho, kam hinter seinem Tresen hervor, legte einen Arm um meine Schultern und dirigierte mich zu einem der Tische direkt neben seinem Ausgabetresen.
„Wenn du was brauchst, sag bescheid.“, meinte er, bevor er wieder begann, in der Küche zu arbeiten.
„Ich kann leider nicht bei euch bleiben. Ich muss nach draußen. Es ist eiskalt heute.“, sagte Thea und zog sich ihren Schal an.
„Bis Nachher.“, verabschiedete sie sich von uns und Juho und ich waren alleine.
„Kann ich dir helfen?“, fragte ich krächzend.
„Du bleibst sitzen.“, sagte er streng und stellte mir eine Tasse mit heißem Tee hin.
„Ich fühl mich aber so unnütz, wenn ich hier einfach nur sitze.“, versuchte ich es erneut, doch er lächelte mich nur an, während er weiter arbeitete.
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BeitragThema: Re: Star of Fate   Star of Fate I_icon_minitimeFr Feb 06, 2009 2:32 am

Gegen Mittag wurde es wieder voller.
Die ganze Zeit hatte ich Juho beim Arbeiten zugeschaut und mein schlechtes Gewissen plagte mich, weil ihm nicht half, doch jeder Versuch, ihm meine Hilfe anzubieten, scheiterte.
Ich merkte richtig, dass er mich am liebsten auf eine der Matratzen packen würde, damit ich schlief.
Nachdem auch das Mittagessen rum war und alles wieder ruhiger wurde, kam der Arzt, der sich um die Obdachlosen kümmerte.
Viele standen an, doch mich zog er vor.
Ihm gefiel nicht, wie ich hustete und schnell stellte sich heraus, dass ich nur knapp einer Lungenentzündung entkommen war.
„Schonen sie sich. Keine Anstrengung. Viel Wärme.“, sagte er und gab mir dann ein Medikament.
„Sie sollten sich dringend eine Wohnung suchen.“, meinte er, bevor er mich hinausschickte, um sich um den Nächsten Patienten zu kümmern.
Ich ging wieder zu Juho in die Küche und setzte mich auf meinen Platz.
Er war gerade fertig mit allem und setzte sich zu mir.
Leise unterhielten wir uns.
Ich erzählte ihm, dass ich eine Erkältung hatte und mich etwas schonen sollte.
„Dann wirst du das auch.“, meinte er mit einem Lächeln.
„Juho?“, fragte ich leise. „Kannst du mir bitte helfen? Ich möchte nicht mehr zurück auf die Straße…“
Er lächelte wieder und nickte dann.
„Klar helf ich dir, aber erstmal musst du Gesund werden.“

Und so kam es, dass er mich einfach so mit zu sich nach Hause nahm.
Dort durfte ich auf seiner Couch schlafen, bis ich wieder gesund war, was dank seiner guten Pflege nicht einmal zwei Wochen dauerte.

Tonight I cast my spell
And I wish upon a star
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Es entwickelte sich eine gute Freundschaft zwischen uns.
Auch mit Thea verstand ich mich immer gut und aus dem Straßenkind wurde wieder ein Mensch, der normal in einer Wohnung lebte.

Das war Anfang Dezember gewesen und nachdem ich endlich wieder gesund war, fing ich an, den Beiden in der Obdachlosenunterkunft zu helfen.
Ich putzte die Räume, legte Abends die Matratzen aus, teilte sie mit ein oder half Juho in der Küche.
Es war ein schönes Gefühl, den Menschen zu helfen, die genau waren wie ich: Ohne Hoffnung, ohne Freude, aber mit viel Hoffnung und Träumen.
Mein achtes Weihnachten, das ich nicht zu Hause feiern würde, rückte mit jedem Tag näher und Thea und ich begannen, den Raum weihnachtlich zu schmücken.
Von einem Baum draußen hatte ich Zweige abgeschnitten, die wir überall im Raum auf hingen und mit Kugeln und Lichterketten versahen.
An einem Nachmittag backte ich mit einigen Obdachlosen Plätzchen, die sie dann auf der Straße verkaufen konnten.
Innerhalb kurzer Zeit war ich von einer der Obdachlosen zu einer Art dritten Sozialarbeiterin geworden.
Juho hatte inzwischen dafür gesorgt, dass ich ein ordentliches Bett in seiner Wohnung bekam, obwohl ich gar nicht wollte, dass er sich wegen mir solche Umstände machte.
„Schon gut, Viv. Mach ich doch gerne“, sagte er dann immer schmunzelnd und gab mir einen freundschaftlichen Schmatzer auf die Wange.

Kurz vor Weihnachten, ich hatte etwa drei Wochen dort gearbeitet, hatte Thea einen Überraschung für mich.
Sie hatte beim Sozialamt angerufen und dafür gesorgt, dass ich ebenfalls eine Anstellung in der Obdachlosenunterkunft bekam.
Sie hatten die ganze Zeit schon nach einer weiteren Kraft gesucht und da ich ja sowieso schon dort half, war es das naheliegendste.
Der Job war zwar nicht gut bezahlt, aber für mich reichte es.
Juho bekam von mir Miete, wogegen er lautstark protestierte, aber ich wollte nicht, dass er mir die Wohnung mit bezahlte, wenn ich selber Geld hatte.
Er meinte, ich solle das Geld für meine eigene Wohnung sparen, doch ich bestand darauf, einen Teil der Kosten zu tragen, solange ich bei ihm wohnte.
Ich hatte sogar so viel, dass ich meinen beiden neuen Freunden ein Weihnachtsgeschenk und für mich neue Kleidung kaufen konnte.

Gemeinsam organisierten wir ein Weihnachtsfest für alle, die kommen wollten.
Es gab Plätzchen, heißen Saft und Tee und ein Weihnachtsessen, dass Juho und ich kochten.
In seiner Nähe fühlte ich mich immer wohl und geborgen und so machten wir so viel es ging gemeinsam.
Thea war meistens sowieso im Außeneinsatz und versuchte auch weiterhin, zu den Kindern durchzudringen, doch das blieb meistens ohne Erfolg.

Am 23. Dezember, einen Tag vor Weihnachten, nahm ich mir die Zeit, etwas draußen spazieren zu gehen.
Ich musste daran denken, was für ein Glück ich die letzten Wochen gehabt hatte.
Es war fast wie ein Märchen…
Doch ich weigerte mich an ein Märchen zu glauben.
Diesen Gedanken schob ich so weit ich konnte von mir und dachte stattdessen an meinen Vater.
Am klaren Sternenhimmel konnte ich einen hellen Stern erkennen.
Der zweite Stern von Rechts.
Wie jede Weihnachten blinkte er mir zu und ich musste Lächeln, denn ich war mir sicher, dass es mein Vater war, der mir zusah.

Every night I cast my spell
And I wish upon a star
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So ging Weihnachten, Neujahr und der Frühling ins Land.
Auch der Sommer war bald vorbei und es wurde wieder Winter.
Inzwischen hatte ich angefangen, meinen Schulabschluss nachzumachen und konnte nach einem Jahr stolz meinen Realschulabschluss vorweisen.
Dumm war ich nie gewesen.
Man bot mir sogar eine Ausbildungsstelle an, die ich begeistert annahm.
Juho und ich lebten immer noch in seiner kleinen Wohnung, die wir uns inzwischen als richtige WG eingerichtet hatten und waren auf der Suche nach etwas größerem.
Ich sah inzwischen überhaupt nicht mehr wie eine ehemalige Obdachlose aus.
Meine Kleidung war zwar nicht die Beste, aber ich trug keine zerschlissenen Sachen mehr.
Meine Haare waren auch nicht mehr so stumpf wie sie es gewesen waren, sondern vielen jetzt glatt auf meine Hüften.
Thea war inzwischen verheiratet und erwartete ihr erstes Kind.
Alles schien wie im Märchen, doch wie ich am Anfang sagte, glaubte ich nicht mehr an Märchen und auch dieses fand ein jähes Ende.

Wieder war es kurz vor Weihnachten.
Thea hatte sich frei genommen, weil das Kleine bald kommen würde und so mussten Juho und ich alleine den Raum für Weihnachten schmücken.
Ich hatte gerade die letzte Girlande aufgehangen, als jemand in das Gebäude kam.
An der Uniform erkannte wir sofort den Polizisten, doch da keiner hier war, wussten wir nicht, was er wollte.
„Guten Tag, kann ich ihnen helfen?“, fragte ich und ging auf den Mann zu.
„Ja. Sind sie Frau Viviane Sindal?“, wollte er wissen.
„Ja, die bin ich.“, antwortete ich und schaute überrascht zu ihm.
„Frau Sindal. Wir müssen ihnen leider mitteilen, dass ihre Mutter verstorben ist. Wir wissen, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihr hatten, doch da sie die einzige Verwandte sind, die noch hier lebt, müssen wir sie benachrichtigen.“
Ich war wie gelähmt.
Seit jetzt neun Jahren hatte ich nciths mehr von dieser Frau gehört, die mich damals grün und blau geschlagen hatte und jetzt… jetzt war sie tot.
Sie war einfach so gegangen.
Kein Wort, keine Suche nach mir, gar nichts…
Am Anfang hatte ich mir immer vorgestellt, dass sie mich suchen würde.
Das sie irgendwann vor mir stehen, mich in ihre Arme schließe würde und sagte: es ist alles gut. Es tut mir leid.
Diese Vorstellung hatte ich irgendwann aufgegeben und jetzt erfuhr ich, dass sie nie wahr werden würde.
„Wir konnten sie leider nicht sofort finden. Die Beerdigung war letzte Woche. Mein herzliches Beileid.“, sagte der Polizist und ging.
Ich stand wie erstarrt neben Juho und hielt immer noch eine Kugel in der Hand, die ich langsam immer fester in meine Faust schloss, bis sie zersprang und die Scherben auf dem Boden landeten.
Den Schmerz fühlte ich gar nicht, denn alles, was ich fühlte, war der Schmerz, den mir meine Mutter zugefügt hatte.
Als sich ein Arm um mich legte und mich an etwas Warmes zog, wusste ich gar nicht, wie mir geschah.
Ich hatte alles um mich herum ausgeblendete und wehrte mich erst gegen die zarte Berührung, bis ich endlich registrierte, dass es Juho war, der mich in den Arm genommen hatte.
„Tut mir leid…“, hauchte ich leise und kuschelte mich an meinen besten Freund.
„Muss es nicht. Viv. Was ist damals passiert?“, fragte er mich leise.
Seit ich hierher gekommen war, hatten wir nicht mehr darüber gesprochen, doch jetzt war es an der Zeit, es ihm zu erzählen.
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BeitragThema: Re: Star of Fate   Star of Fate I_icon_minitimeFr Feb 06, 2009 2:32 am

Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, sah er mich ungläubig an.
„Das kann doch alles nicht wahr sein…“, murmelte er, doch ich nickte nur.
„Doch, ist es. Juho… Ich geh etwas spazieren. Ich muss kurz alleine sein…“, sagte ich leise und stand auf.
„Zieh dich warm an.“, rief er mir noch zu, als ich schon meinen Schal nahm. Ich lächelte gequält.
„Ja, mach ich.“
Ich sah auf den Kallender neben der Tür.
Es war der 23. Dezember.

Langsam lief ich durch die Straßen, in denen überall Lichter brannten.
Wie das Mädchen mit den Zündhölzchen schaute ich wieder in die Fenster hinein und sah die geschmückten Bäume.
Erinnerungen an Weihnachten zu Hause kamen hoch.
Die Bescherung mit meinen Eltern.
Die Weihnachtsgans, die meine Mutter gemacht hatte.
Die Weihnachtslieder… einfach alles.

Irgendwo mitten in der Stadt setzte ich mich auf eine Bank und schaute nach oben.
Es war inzwischen dunkel, doch trotz des klaren Himmels konnte ich nicht einen Stern sehen.
Ich wusste aber, dass er da war.
Mein Stern des Schicksals, den ich mir immer angeschaut hatte, wenn es mir Schlecht ging.
Der Stern, von dem ich dachte, dass er mein Vater war, der auf mich hinabschaute.
Der zweite Stern von Rechts neben dem großen Wagen.

Ich dachte an das letzte Jahr zurück.
Dachte an meine beiden Freunde und mir drehte sich der Magen rum.
Das war falsch…
Das durfte so nicht sein.
So etwas hatte ich nicht verdient.
Womit denn auch?
Ich hatte meine kranke Mutter alleine gelassen, war von zu Hause abgehauen und hatte es nicht einmal geschafft, auf ihre Beerdigung zu kommen.

Langsam lief ich zurück zu meinem Arbeitsplatz und schaute von außen durch das Fenster hinein.
Juho saß alleine mit einer Tasse Kaffee auf einem Stuhl und schaute auf den leeren Weihnachtsbaum, den wir nachher schmücken würden.
Seine dunklen Haare schimmerten im Licht der Lampen, seine schmale Gestalt gab ihm irgendwie dieses unschuldige Aussehen.
Ich musste unwillkürlich Lächeln, als ich ihn so da sitzen sah.
Er drehte sich um und sah mir direkt in die Augen.
Ich kannte seine Augen.
Warm und braun strahlten sie mich immer an, wenn er sich freute oder funkelten, wenn wir uns kabbelten.
Streiten konnten wir uns gar nicht.
Es gab verschiedene Situationen, wo es normale Menschen getan hätte.
Wir nicht.
Wir kabbeln uns, fauchten kurz, aber nach kurzer Zeit war alles wieder gut.
Ich ging nach innen und setzte mich direkt neben ihn.
„Ich hab mich schon gefragt, wo du bleibst.“, sagte er leise und nahm einen Schluck seines Kaffees.
„Ich musste nachdenken…“, meinte ich leise und klaute ihm einen Schluck seines Kaffees.
„Es ist noch welcher in der Küche. Worüber denn?“, fragte er mich, aber ich gab ihm keine Antwort.
Ich sah ihn einfach nur an.
„Alles in Ordnung mit dir?“, wollte er irgendwann wissen und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ja, alles in Ordnung…“
Nein, nichts war in Ordnung, aber im Moment wollte ich nicht sprechen.
Im Moment wollte ich einfach nur hier sitzen und auf den leeren Weihnachtsbaum starren.
Ich wollte die Nähe meines besten Freundes genießen und ihm ab und an etwas Kaffee klauen, wie ich das so oft machte.
Das alles wollte ich, aber ich wollte nicht nachdenken.
Nicht darüber, warum ich nicht zu Hause war, warum ich mich nicht um meine Mutter gekümmert hatte… Gar nichts
Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter und er schlang seinen Arm um mich.
Das machten wir öfter.
Fast immer saßen wir so Abends vor dem Fernseher. Das war gemütlicher, als sich nebeneinander zu setzten und da wir beide frei waren, konnte auch niemand eifersüchtig sein.
Sacht strich er immer wieder über meine Seite, bis unsere traute Zweisamkeit von den ersten Übernachtungsgästen gestört wurde.
Wir begannen unsere Arbeit und verpflegten die Leute.
Sonst hatte ich immer meine helle Freude daran… Heute musste ich mich zu jedem Lächeln zwingen.

Inzwischen kamen auch mehr Jugendliche.
Viele kannten mich von früher und so hatten sie auch wenig Probleme, mit mir zu kommen.
Sie wussten, wo ich war, waren sie sicher.
Deshalb hatte ich schon im Sommer begonnen, zu ihnen zu gehen und sie mit zu nehmen.
Viele hatten wir dazu überreden könne, doch in ein Jugendheim oder zu ihren Familien zurück zu gehen, einige waren zu Stammgästen geworden, die jede Nacht hier schliefen.

Wie immer an Weihnachten war die Hölle los und weil wir nur zu Zweit waren, musste ich auch nicht nachdenken, wofür ich allen Göttern der Welt dankbar war.

Als endlich wieder Ruhe eingekehrt war, kam unsere Ablösung für diese Nacht und Juho und ich machten uns auf den Weg in unsere Wohnung.
Dort fiel ich sofort auf unser Sofa, genau wie er und wir kuschelten uns wieder aneinander, weil die Heizung schon aus und das Zimmer eiskalt war.
„Ich sollte mit unserem Vermieter verhandeln, das die Heizung nicht schon um zehn runter gefahren wird…“, meinte Juho leise und zog eine Decke über uns.
Ich war froh über seine Nähe, denn ich wollte nicht alleine sein…
Ich dachte einfach zu viel nach, wenn ich alleine war und so genoss ich seine stumme Gesellschaft.
Wir schwiegen uns lange an, doch irgendwann durchbrach er das Schweigen.
„Viv. Was ist los? Du bist so komisch.“, fragte er mich und drückte mich kurz.
„Es ist nichts…“, versuchte ich auszuweichen, doch sein Blick strafte mich lügen.
„Und ich bin das Christkind. Ist es wegen deiner Mutter?“, bohrte er nach.
Ich nickte und vergrub mein Gesicht an seiner Brust, wie ein kleines Kind.
„Ich war nicht da…“, sagte ich, doch die Worte wurden von seinem Pullover fast völlig erstickt.
„Wo warst du nicht? Viv, machst du dir etwa Vorwürfe?“, fragte er mich und seine Stimme nahm eine Tonlage an, die mir nicht gefiel.
Sie war so aggressiv und jeder hauch der Freundlichkeit war aus ihr veschwunden. Ich hatte ihn noch nie so erlebt.
„Sie war meine Mutter. Ich hätte mich um sie kümmern müssen…“, sagte ich leise und sah ihn an.
Langsam begannen die Tränen zu fließen.
„Ich war nicht mehr bei ihr. Ich… Ich hätte etwas tun müssen! Ich bin weg gegangen und habe nur an mich gedacht. Sie hat mich gebraucht!“
Juho sah mich an und schüttelte mich dann leicht.
„Viviane! Hör auf damit! Sofort!”, sagte er und ich konnte den Zorn in seiner Stimme hören.
„Du kannst doch nichts dafür, dass deine Mutter ihr Leben nicht mehr im Griff hatte.“
„Aber ich hätte…“
„Du hättest was?“, fragte er mich aufgebracht. „Ihr helfen sollen? Viv, du hast hier genug Alkoholiker erlebt! Du weißt verdammt gut, dass man ihnen nicht helfen kann, wenn sie das nicht wollen und schon gar nicht, wenn sie in einer solchen Verfassung sind. Du warst Zwölf! Praktisch noch ein Kind!
Es war unverantwortlich, was sie getan hat.“, sagte er laut und sah mir dabei fest in die Augen.
Seine Standpauke machte mir Angst.
Mit Streit war ich noch nie gut klar gekommen, doch das hier…
Ich begann, leicht zu zittern.
Juho bemerkte das und zog mich wieder ganz dicht an sich.
„Viv. Du kannst nichts dafür. Du hättest ihr nicht helfen können…“, sagte er leise und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Sie war meine Mutter…“, flüsterte ich.
„Ja, das war sie und trotzdem konntest du nichts tun… Wer weiß, vielleicht hätte es dich mit kaputt gemacht, Kleine… Noch mehr, als es das eh schon getan hat.“
Wieder herrschte Schweigen und ich dachte über seine Worte nach.
Immer wieder liefen mir Tränen über die Wange, die er mir sofort wegwischte, aber er sprach keinen Ton.
Ich wusste nicht, ob er Recht hatte oder nicht, doch das war eigentlich auch nicht wichtig.
Wichtig war, dass er für mich da war.
Ich konnte ihn neben mir spüren und in diesem Moment hoffte ich einfach, dass es immer so bleiben könnte.
Das wir einfach immer so hier sitzen könnten, doch ich wusste, der Moment würde verstreichen.
Wir schwiegen beide, doch das Schweigen war nicht unangenehm, ganz im Gegenteil.
Jeder hing seinen Gedanken nach und irgendwann spürte ich, dass sein Atem immer langsamer wurde. Sein Herzschlag unter meinem Ohr beruhigte sich immer weiter.
Ich schaute ihn an.
Er hatte die Augen geschlossen und schlief friedlich, was mir ein Lächeln entlockte.
Der Tag war hart gewesen und das er müde war, konnte ich verstehen.
Vorsichtig beugte ich mich vor und hauchte ihm einen guten Nacht Kuss auf die Lippen, bevor ich mich an ihn kuschelte.
Die Berührung war angenehm und doch schien sie mir weh zu tun.
Sie erinnerte mich an vieles aus meiner Kindheit und mir wurde klar, dass ich noch an der Vergangenheit hing…
Egal, wie oft ich versucht hatte, sie zu verdrängen, immer wieder war sie zu mir gekommen, doch nie so schlimm wie am heutigen Tag.
In diesem Moment war mir eines klar:
Ich musste gehen. Ich musste mich meiner Vergangenheit stellen, sonst würde ich keine Ruhe finden.

As I seal your lips
With a good-bye kiss, my love
It’s been hit and miss
Hurting deep inside my heart
But I have to go
Before we grow too old now
That second star from the right
Is the one always shining there by my side

Am nächsten Morgen war es noch dunkel, als ich vom Sofa aufstand.
Geschlafen hatte ich kaum, doch es musste reichen.
Juho schlief noch tief und fest, als ich mir meine Sachen anzog und aus der Wohnung schlich.
Damit er sich keine Sorgen machte, hatte ich einen kurzen Brief geschrieben, wohin ich ging.
Ich wusste, wenn es einer verstand, dann er…
Als ich nach draußen kam, sah ich sofort nach oben.
Der Sternenhimmel war noch klar und der volle Mond strahlte über die Stadt.
Der zweite Stern von Rechts schien in dieser Nacht kaum und so trüb, wie ich mich fühlte.
So schnell ich konnte, lief ich zum Bahnhof und fuhr in Richtung des hellen Sterns, denn er war genau dort am Himmel, wo das Dorf war, in dem ich geboren worden war.

Jeder Meter, den ich näher kam, schmerzte mehr…
Aber ich wusste, ich musste dorthin zurück.
Ich fühlte mich an die Zeit auf der Straße zurückerinnert.
Immer auf der Flucht vor mir selber und den Menschen, die mir helfen wollten.
Immer auf der Flucht vor meiner Familie.
Heute würde diese Flucht ein für alle Mal enden.
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BeitragThema: Re: Star of Fate   Star of Fate I_icon_minitimeFr Feb 06, 2009 2:33 am

Am Bahnhof stieg ich aus dem Zug.
Inzwischen war die Sonne aufgegangen und der Stern verschwunden.
Ich wusste aber, dass er immer noch genau an derselben Stelle war.

Den Weg, den ich nun gehen musste, kannte ich von früher in und auswendig und in wenigen Minuten hatte ich mein Ziel erreicht.
Mein Atem stockte, als ich vor dem Haus meiner Eltern ankam.
Ich erkannte es kaum wieder.
Es war völlig heruntergekommen und schon von außen wirkte es verdreckt.
Die Einfahrt war mal wunderschön gepflastert gewesen, doch davon war nicht mehr viel zu sehen.
Algen, Moos und Schlamm hatten das Steinmuster verdeckt, das mein Vater und ich damals gelegt hatten.
Ich war erst vier gewesen, doch ich wollte ihm unbedingt helfen, also durfte ich kleine Steine in das Muster legen.
Es war einer der schönsten Sommer, an die ich mich erinnern kann, denn auch wenn ich ein kleines Kind war, manche Dinge aus seiner Vergangenheit vergisst man nie.
Der Garten war Wildwuchs, das konnte ich an den verdorrten Resten der Pflanzen erkennen.
Da es nicht geschneit hatte, bedeckte keine Schneedecke das Grauen.
Mir wurde eiskalt, als ich das alles sah und wünschte mir, doch nicht alleine gegangen zu sein.
Hätte ich Juho gefragt, er wäre mit mir gegangen, aber ich wusste, ich musste mich dem alleine stellen.
Es war schwer für mich, mein Elternhaus so zu sehen, auch wenn ich ewig nicht mehr hier gewesen war.

Langsam lief ich die Einfahrt nach oben.
Die Tür war natürlich abgeschlossen, doch ich hatte einen Schlüssel.
Mit Verwunderung stellte ich fest, dass er auch nach neun Jahre noch passte.

Ich betrat die Wohnung und fand ein Bild des Grauens vor.
Die Wohnung war verdreckt und überall lag Müll auf dem Boden.
Leere Flaschen standen auf dem Tisch und mir wurde sofort klar, dass meine Mutter nicht aufgehört hatte zu trinken, auch als ich gegangen war.
Vielleicht hatte sie sogar noch mehr getrunken, weil ihr einziges Kind verschwunden war…
Dieser Gedanke war so grausam, dass ich mich an der Wand abstützen musste.

Als ich mich wieder gefangen hatte, lief ich langsam nach oben in mein altes Kinderzimmer.
Ich stellte fest, dass das der einzige ordentliche Raum war.
Alles war noch genau so, wie ich es verlassen hatte.
Meine Kleidung lag noch dort, meine Schultasche, sogar das Buch, dass ich angefangen hatte zu lesen.
Tränen stiegen wieder in mir hoch und rannen über mein Gesicht, als ich so in meiner Vergangenheit stand.
Ich war davor weggelaufen, jetzt holte es mich ein.

Every night I cast my spell
And I wish upon a star
Star of fate keeps me moving along
Follow that dream of my heart


Ich schaute mich noch im restlichen Haus um, bevor ich die Tür abschloss und zum Friedhof ging.
Dort sah ich sofort das frische Grab meiner Mutter und stellte mich davor.
Die Mittagssonne wärmte mich etwas und ließ das klamme Gefühl aus meinen Gliedern verschwinden.
Ich dachte an Juho, der jetzt ganz alleine arbeiten musste, weil ich auf einem Egotrip war, doch ich wusste auch, dass es nichts genützt hätte, heute an die Arbeit zu gehen.
Ich musste erst hierher kommen und endlich mit meiner Vergangenheit abschließen.
Es machte mich traurig, dass es dazu erst den Tot meiner Mutter gebraucht hatte…

Immer wieder liefen mir die Tränen über das Gesicht und schienen gar nicht mehr aufzuhören.
Trauer über den Tot meiner Mutter, die Verzweiflung der letzten Jahre, die Anstrengungen, mein Leben zu meistern. Alles brach aus mir heraus.
Ich ging in die Knie, damit ich nicht fallen konnte. Hier hatte ich keine Wand, an der ich mich abstützen konnte, nur den kalten Boden, auf den ich meine Hand legte.
Ich fühlte mich so einsam und verlassen. Völlig leer…
Und doch wusste ich, dass ich nicht alleine war.
Es gab Menschen, die ich liebte, doch die waren in diesem Augenblick weit weg…
So dachte ich.

Unter Tränen stand ich auf, wischte sie zur Seite und wollte gehen, als ich direkt in jemanden hineinlief.
Dieser Jemand schloss sofort seine Arme um mich und zog mich so fest er konnte, an sich.
„Du bist mir vielleicht eine. Einfach abhauen und nur einen Zettel da lassen.
Ich hab mir Sorgen um dich gemacht.“, sagte Juho leise und vorwurfsvoll.
Ich kuschelte mich an ihn und flüsterte:
„Tut mir so leid, Juho… aber ich musste…“
„Ich weiß…“, antwortete er. „Aber jetzt hast du genug der Vergangenheit nachgetrauert, Kleine. Es wird Zeit, dass du in die Gegenwart zurückkommst… Wir brauchen dich doch.“
Ich zwang mich zu einem Lächeln.
Natürlich brauchte sie mich. Wir Drei schmissen schließlich den ganzen Laden.
Gerade wollte ich antworten, als er mir etwas ins Ohr hauchte.
„Ich brauche dich…“
Mir lief es eiskalt den Rücken hinab, als mich seine Worte erreichten, doch ich verstand sie nicht wirklich.
Warum sollte er mich brauchen?
War die Spülmaschine kaputt?
Die konnte ich nämlich inzwischen ganz gut reparieren.
„Warum?“, fragte ich deshalb verwirrt und sah ihn an.
„Dummes Mädchen.“, sagte er darauf kichernd und sah mich an.
Seine braunen Augen schauten warm und vorwurfsvoll zu mir.
Seine Arme ließen mich keinen Augenblick los.
„Komm, fahren wir zurück.“, sagte er dann, als er merkte, dass ich nichts verstehe.
Ich nickte, doch ich bewegte mich nicht.
Ich wollte eine Antwort.
„Warum?“, fragte ich wieder und er schüttelte nur den Kopf.
„Ach Viv. Du bist doch sonst immer so schnell von Begriff.“, sagte er und grinste mich an, doch ich konnte sein ganzes Verhalten nicht einordnen.
Er war mein bester Freund.
Das wusste ich und an diese Tatsache klammerte ich mich, doch mehr verstand ich im Augenblick nicht.
Statt mir endlich zu erklären, was los war, strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht.
„Komm. Wir nehmen den nächsten Zug. Ich habe eine Weihnachtsüberraschung für dich und wenn wir uns nicht beeilen, schaffen wir das nicht mehr. Ich dachte ja nicht, dass ich dich heute noch mit dem Zug abholen müsste.”, sagte er und gemeinsam liefen wir Arm in Arm zum Bahnhof.
Ich frage ihn immer und immer wieder, was los sei, doch er antwortete mir darauf nicht.

Als wir wieder angekommen waren, nahm er sofort meine Hand und zog mich hinter sich her zur U-Bahn.
Dort stiegen wir nicht in die Bahn ein, die ich erwartet hätte, sondern in eine ganz andere.
„Was ist denn los, Juho? Jetzt sag endlich!“, sagte ich und langsam wurde ich ärgerlich.
Was hatte dieser verdammte Kerl nur vor?
„Gedulde dich etwas. Wir sind gleich da.“, meinte er nur und zog mich weiter.
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BeitragThema: Re: Star of Fate   Star of Fate I_icon_minitimeFr Feb 06, 2009 2:34 am

Bald schon stiegen wir aus und liefen ein Stück durch einen Außenbereich der Stadt.
Nach wenigen Minuten erreichten wir ein Haus, dass etwas abgelegen in einer Wiese lag.
Ich schaute mich um.
Ich fragte mich, warum wir hier waren. Mir fiel ein, dass Thea und ihr Mann sich eine neue Wohnung gesucht hatten. Wollten wir sie vielleicht besuchen?
Bisher hatten wir noch keine Zeit dazu, weil zu viel Arbeit anstand, wenn wir nur zu Zweit waren.
Deshalb fragte ich ihn:
„Juho? Es ist schön hier, aber was wollen wir hier? Ist das die neue Wohnung von Thea?“
Er begann die Stirn zu runzeln.
„Schwer von Begriff bist du aber heute gar nicht, oder?“, fragte er mich deshalb.
„Nein, überhaupt nicht.“, antwortete ich trotzig.
„Dann ist ja gut.“, gab er mit einem sarkastischen Unterton zurück.
Ich verschränkte die Arme und sah ihn böse an, doch er lachte nur und zog mich dann weiter.
„Versuch es gar nicht erst. Geduld.“, meinte er.
Als wir endlich an der Eingangstür angekommen waren, wurde uns schon von innen geöffnet.
„Schön, dass du endlich da bist.“, sagte die Frau, die uns öffnete und strahlte Juho an, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
Das war ich ja eigentlich gewohnt, doch dieses mal war es anders.
Er lächelte zurück und ich spürte einen Stich, tief in meiner Brust.
Ich sah sie an.
Sie hatte lange Haare, die ihr glatt ins Gesicht fielen, wunderschöne Augen und eine Figur wie ein Supermodel.
Solche Frauen sahen wir nicht oft.
Normalerweise waren die Frauen, die zu uns kamen in ganz anderen Verfassungen.
Ich fragte mich, was das alles zu bedeuten hatte.
Endlich schien die Frau mich auch zu bemerken und schenkte mir ein kurzes Lächeln, bevor sie wieder Juho ansah.
„Kommt rein.“, meinte sie und hielt uns die Tür auf.
Juho ging vor und ich folgte ihm.
Normalerweise wäre ich einfach stehen geblieben, doch er hatte immer noch meine Hand und zog mich mit sich.
Ich dachte, dass wir in eine normale Wohnung kommen würden, in der jemand wohnte und seit dem ersten Augenblick hatte ich auch die Befürchtung das er mir diese Frau als seine neue Freundin vorstellen könnte.
Sie lächelte ihn so seltsam an… irgendwie war das nicht normal, doch ein Blick zu Juho genügte, um zu erkennen, dass das ganze wohl eher Einseitig war.
Er schaute sie kaum an, sondern sah sich im Raum um, in den nicht ein Möbelstück stand.
Sie hingegen konnte kaum die Augen von ihm lassen und irgendwie versetzte mir das einen Stich nach dem Anderen.
Es tat weh, eine Frau zu sehen, die so offensichtlich mit ihm flirtete.
Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich erschrak, als mir plötzlich eine Stimme ins Ohr flüsterte: „Fröhliche Weihnachten.“
Ich blinzelte und sah direkt in Juhos Augen, die mich anstrahlten.
So richtig verstand ich nicht, was los war und schaute einfach zurück.
Er sah mich an, strich mir wieder eine Strähne aus dem Gesicht und begann dann zu lachen.
„Kleine, du bist heute wirklich schwer von Begriff. Willkommen in unserem neuen zu Hause.“, flüsterte er mir zu, nahm dann meine Hand und begann mich durch das kleine Haus zu führen.
Es war wunderschön, schon etwas Älter, aber in einem relativ guten Zustand.
An einigen Ecken musste etwas getan werden, aber nichts, was mit etwas Geschick und Farbe nicht zu machen war.
„Wenn es euch gefällt könnt ihr ab Januar einziehen. Die Bedingungen kennst du ja, Juho.“, sagte irgendwann die Frau, die es aufgegeben hatte, Juho anzuklimpern.
„Gefällt es dir? Es ist doch viel geräumiger als unsere WG, oder?“, meinte er.
Ich nickte nur und schaute mich weiter mit großen Augen um.
Als ich einen Balkon entdeckte, nahm ich seine Hand und zog ihn mit nach draußen.
„Das ist wirklich toll… Wann hast du das denn gefunden?“, sagte ich „und… können wir uns das überhaupt leisten?“
Er lächelte wieder.
„Ja, können wir. Die Maklerin ist eine alte Freundin und der Besitzer ist einfach nur froh, wenn jemand hier wohnt. Wir müssen uns eben um das Grundstück mit kümmern. Er wohnt gleich nebenan und wir machen sozusagen Hausmeister für ihn, wenn wir das Haus nehmen.“
„Es ist schön hier…“, sagte ich und schaute wieder auf die Wiese draußen, an deren Rand ich einen kleinen See sah.
„Dann kann ich euch Beiden nur sagen: Herzlichen Glückwunsch. Das Haus ist ein Schätzchen.“, meinte nun die Maklerin, die uns auf den Balkon gefolgt war.
Ich lächelte sie kurz an, doch dann wanderte mein Blick wieder zu Juho, der einfach nur da stand und mich musterte.
„Ist irgendwas? Hab ich eine Käfer in den Haaren?“, fragte ich deshalb scherzhaft und wuschelte mir durch die Mähne, um eventuelle, winterresistente Käfer daraus zu entfernen.
Juho begann zu lachen und kam dann auf mich zu.
„Kleine, noch schwerer von Begriff kann man doch eigentlich nicht sein.“, sagte er und ich konnte sehen, dass er traurig war, dass ich nicht verstand.
Langsam begann es mir zu dämmern.
Erst war ich etwas unsicher und fragte mich, ob ich richtig dachte, doch ein weiterer Blick zu ihm und ich war mir sicher. Jetzt war es mir unmöglich, ein Lächeln zu unterdrücken.
Wenn ich es gekonnt hätte, ich hätte mich selber in den Hintern gebissen.
Das war so offensichtlich gewesen, aber ich hatte es nicht bemerkt.
Ich musste an die letzten Tage und Wochen denken und schon vielen mir tausend Situationen ein, in denen ich es hätte bemerkten müssen…
Flüchtige Berührungen, einfache Worte und Blicke, die so viel ausgesagt und die ich doch nie verstanden hatte.
Doch warum hatte ich nicht?
Vielleicht, weil ich einfach nicht darauf eingestellt bin.
Mein Radar für Gefühle ist verkrüppelt und abgestumpft.
Ich hatte nichts gemerkt.

Langsam wurde es dunkel und die ersten Sterne erschienen am Himmel.
Ich sah nach oben und erkannte sofort meinen Stern.
Den zweiten Stern von Rechts neben dem großen Wagen.
Ich nahm Juhos Hand und zog ihn ein Stück an mich.
„Ich will dir etwas zeigen. Schau mal nach oben.“, sagte ich.
Juho tat das, aber sein Gesicht zeigte mir, dass er nicht verstand, worauf ich hinaus wollte.
„Was soll ich denn sehen?“
„Schau mal, da oben. Der große Wagen. Siehst du ihn?”, fragte ich ihn, doch er schüttelte nur den Kopf.
Ich rückte näher an ihn heran, nahm seine Hand und führte sie so, dass er über seinen Arm genau auf den großen Wagen blicken konnte.
„Geh jetzt zwei Sterne nach Rechts. Diesen Stern beobachte ich, seit ich von zu Hause weggelaufen bin. Das ist mein Papa.“, flüsterte ich ihm zu. “Ich weiß, dass es albern klingt, aber ich stell mir vor, dass er dort ist und immer auf mich aufpasst. Er schaut mir zu und beschützt mich.“
Juho sah mich an, doch er sagte noch immer kein Wort.
Seine Augen zeigten, dass er enttäuscht war.
Er hatte keine Stern gezeigt bekommen wollen, doch ich war ja schließlich noch nicht fertig.
„Du bist der Einzige, der das weiß.“, hauchte ich und rutschte noch näher an ihn heran. „Ich habe all die Jahre immer auf diesen Stern geschaut… Erst, als ich dich kennen gelernt habe, wurde es weniger.“
Noch immer sagte er nichts. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich fiel mir ein Lied ein, dass mir mein Vater immer vorgespielt hatte, als ich noch ein Kind war.
Leise begann ich zu singen.
„Tonight I cast my spell
And I wish upon a star
Star of fate
Keeps me moving along
Follow that dream of my heart”
Ich murmelte den Text mehr, als das ich ihn sang, den die Maklerin stand ja immer noch im Raum hinter uns und sie sollte das nicht mitbekommen.
„Mein Vater hat es mir immer vorgespielt. Singen konnte er nicht.“, meinte ich kichernd.
„Deshalb der Stern?“, sagte er und durchbrach endlich sein Schweigen.
Ich nickte und sah ihn an.
„Er meinte mal, dass jeder Mensch einen Schicksalsstern hat, der ihn irgendwo hin bringt.
Ich fand das immer so kitschig, aber… vielleicht“ Ich stockte kurz, doch dann fasste ich mir ein Herz.
Er war heute so weit auf mich zugegangen, hatte versucht, mich wach zu rütteln… Jetzt war ich es ihm schuldig, dass ich auf ihn zuging.
„Vielleicht was, Viv?“, fragte er und ich konnte die Spannung in seiner Stimme hören.
Er hoffte auf eine bestimmte Antwort und ich hoffte, dass es die war, die ich ihm geben wollte.
„Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht hat mich mein Stern ja genau dahin geführt, wo ich mein Glück finden konnte…
Ich war vorhin so froh, dass du da warst… Schon im Haus meiner Mutter habe ich mich gefragt, warum ich dich nicht mitgenommen habe.“, sagte ich und langsam fühlte ich Verzweiflung in mir Aufsteigen.
Ich wusste einfach nicht, wie ich das, was ich fühlte, in Worte fassen sollte.
Das alles klang schon genug nach einem schlechten Film und egal, wie sehr ich nachdachte oder nach Worten rang, es kamen nie die heraus, die ich haben wollte.
Er sah mich lächelnd an.
„Viv? Vielleicht solltest du einfach den Mund halten.“, sagte er plötzlich zu mir und ich erschrak bei seinen Worten.
Hatte ich zu viel gesagt, hatte ich etwas falsches gesagt?
Doch sein Lächeln zeigte mir eigentlich, dass es nicht so sein konnte…
„Wenn…“, stammelte ich.
„Nicht wenn… Viv. Hör einfach auf zu reden.“, flüsterte er mir zu.
Diese Worte taten weh, doch statt mich, wie ich das dachte, zurückzuschieben oder mich zur Seite zu stoßen, nahm er mich wieder in den Arm und schloss mich in einer schraubstockartige Umarmung.
Ich spürte seine Hände auf meinem Rücken und seine Haare an meiner Wange und gleichzeitig fragte ich mich, was die Worte bedeuteten, die er mir an den Kopf geworfen hatte.
Er hatte das ganz ruhig und sanft getan und trotzdem taten diese Worte weh.
Ich versuchte, mich aus seinen Armen zu befreien, doch er ließ mich nicht los.
„Wenn ich dir zu viel…“, fing ich fauchen an, doch den Satz konnte ich gar nicht beenden.
Sanft wurden meine Lippen mit einem Finger versiegelt.
„Sscchh… Nicht.“, hauchte er und im nächsten Augenblick ersetzte er seinen Finger durch seine Lippen.
Erst ganz zaghaft, dann etwas wilder nahm er meine Lippen gefangen.
Sanft strichen mir seine Hände über den Rücken und hielten mich fest.
Erst wollte ich mich wehren, doch seine Berührungen waren einfach zu schön.
Zu real und gleichzeitig fühlte ich mich wie in einem Traum.
Wir kannten und schon über ein Jahr.
Seitdem teilten wir eine Wohnung, hingen aneinnder, doch das hier… das war etwas ganz anderes.
Ich konnte ihn so nah an mir spüren und doch war es anders, als das freundschaftliche gekuschel abends vor dem Fernseher.
Jede Berührung sagte etwas aus, doch was, verstand ich nicht.
Was ich aber verstand war, dass mein Herz immer wieder einfach aussetzte, wenn seine Lippen mit den Meinen zu verschmelzen schienen.
Wenn seine Zunge sanft meine Lippen anstupste.
Schmetterlinge flogen in meinem Bauch und schienen überall hängen zu bleiben.
Ein schönes Gefühl….
Irgendwann löste er sich von mir und lächelte mich an.
„Kleines, versuch nicht immer, alles zu erklären.“, hauchte er leise und strich mir über die Wange. „Manchmal ist es einfach besser, nichts zu sagen.“
Jetzt verstand ich, was er damit gemeint hatte.
Ich lächelte und nickte kurz, bevor ich mich wieder zu ihm lehnte.
Dieses Mal war ich es, die seine Lippen gefangen nahm.
Meine Hand wanderte in seinen Nacken und zog ihn an mich.
Er hatte keine Chance, mir zu entkommen und mir schien es auch nicht, als ob er das wollte.

Erst, als die Maklerin auf den Balkon kam, mussten wir und voneinander lösen.
Sie hatte den Mietvertrag vorbereitet, den wir sofort beide unterschrieben.
Dieses Haus sollte unser neues zu Hause werden, doch bevor wir einziehen konnten, musste noch einiges getan werden.
Am nächsten Morgen begannen wir, unsere Habseligkeiten in die neue Wohnung zu bringen. Dafür hatten wir uns Theas Auto geliehen und sie und ihr Mann halfen uns tatkräftig dabei.
Sie sagte sofort, dass sie sich schon lange gedacht hatte, dass sich etwas zwischen uns entwickelt hatte.
Und so was nennt sich beste Freundin. Sieht etwas und sagt nichts…
Den halben Tag habe ich ihr das unter die Nase gerieben, doch eigentlich kann ich ihr deshalb nicht böse sein.
Nicht jeder ist so blind wie ich.
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BeitragThema: Re: Star of Fate   Star of Fate I_icon_minitimeFr Feb 06, 2009 2:35 am

Am Abend hatten wir alles soweit eingeräumt, dass wir normal darin wohnen konnten.
Sogar ein kleiner Weihnachtsbaum stand im Wohnzimmer, den Thea geschmückt hatte, während der Rest von uns die Möbel richtig hingestellt hatten.
Irgendwann verzogen Thea und ich uns in die Küche und machten Abendessen, während die Männer ein Feuer im Kamin machten.
Zusammen verbrachten wir Heilig Abend in unserem neuen Haus.
Juho hatte eine Vertretung an der Arbeit für uns organisiert und so mussten wir uns keine Gedanken machen, dass dort niemand war, der sich um die Menschen kümmerte.
Auch unser Vermieter kam kurz vorbei, um uns frohe Weihnachten zu wünschen.

Gegen Mitternacht gingen unsere Freunde und wir waren zum ersten Mal wirklich alleine in diesem Haus.
Langsam lief ich durch die Räume und sah mich um.
Überall herrschte noch das Chaos des Umzugs und doch fühlte ich mich hier wohl.
Das war mein neues zu Hause.
Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, hatte Juho gerade das Feuer geschürt und neue Scheite hineingelegt.
Zwei Tassen Tee standen auf dem Boden, neben einen Teppich, auf den er sich schon gesetzt hatte.
Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich zu ihm und kuschelte mich zu ihm.
Sanft hauchte ich ihm einen Kuss auf die Lippen und griff nach meiner Tasse.
Ich trank einen Schluck und sah ihn dann an.
„Was ist denn, Kleines?“, fragte er mich verwirrt.
„Nichts…“, antwortete ich und sah ihn weiter an.
„Doch, irgendwas ist doch.“, meinte er.
„Na ja… Irgendwie kommt mir das alles so unwirklcih vor… ist das wirklich passiert?“
Juho lachte und drückte mich an sich.
Sanft küsste er mich und drückte mich dann auf den Teppich.
Sanft fuhren seine Hände meine Seite entlang.
„Fühlt sich das etwa unecht an.“, hauchte er mir ins Ohr, bevor er mich wieder küsste.
Ich lächelte nur und erwiderte seinen Kuss.
„Nein“, antwortete ich.
Bis das Feuer heruntergebrannt war, saßen wir eng umschlungen auf dem Teppich und genossen die Wärme, bis ich in seinen Armen einschlief.
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